Die Umkehrung der Frage

Vor einiger Zeit rief mich ein alter „Anthroposoph“ an. Er stellte Fragen zum Zeitgeschehen, für vieles was geschieht war er erwacht. Im Gespräch sagte er dann: Warum tut die geistige Welt nichts? Ich habe ihn ausgelacht. Eine solche Frage stellt ein Mensch, der vom Standpunkt der Vergangenheit, von dem der vierten nachatlantischen Zeit in die Gegenwart schaut und von diesem Standpunkt aus das Geschehen der Zeit zu beurteilen versucht, aber nicht verstehen kann. Aus diesem Blickwinkel werden wir nie verstehen, welche Erscheinungen wir durchmachen müssen und warum. Und aus dem Blickwinkel des vierten nachatlantischen Zeitalters werden wir auch die Anthroposophie nicht verstehen und schon gar nicht ergreifen können.

Und wie lautet die Frage aus der Perspektive des fünften nachatlantischen Zeitalters? Was haben wir Menschen versäumt, daß uns die Geistwesen nicht zu Hilfe kommen können? Und wenn ich als Individualität nicht zufrieden bin, mit der Unterstützung der geistigen Welt die uns zuteil werden kann: Was muß ich tun um mich dieser Hilfe zu versichern? „Diese Mitte des Jahrhunderts fällt aber zu gleicher Zeit zusammen mit dem Ablauf derjenigen Zeit, in der gewissermaßen die noch atavistisch zurückgebliebenen Kräfte von vor der Mitte des 15. Jahrhunderts in die ärgste Dekadenz kommen. Und die Menschheit muß vor der Mitte dieses Jahrhunderts den Entschluß fassen, sich dem Spiritualismus zuzuwenden. Man trifft ja heute noch immer viele Menschen, die sagen: Ja warum kommt denn das Unglück? Warum helfen die Götter nicht? Wir sind einmal in der Zeitepoche der Menschheitsentwickelung, wo die Götter gleich helfen, wenn die Menschen ihnen entgegenkommen, aber wo die Götter darauf angewiesen sind nach ihren Gesetzen, mit freien Menschen, nicht mit Puppen zu arbeiten.

Und hier bin ich an dem Punkt, auf den ich gestern hinwies. Wenn, sagen wir, ein erkennender Mensch selbst noch der Griechenzeit, ja der Zeit bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts, hinwies auf die Phänomene, auf die Erscheinungen von Geburt und Tod des Menschen, so konnte er hinweisen auf die Götterwelt, hinweisen, wie gewoben wird aus den göttlichen Welten heraus das Schicksal des Menschen durch Geburt und Tod. Heute müssen wir anders reden, heute müssen wir so reden, daß dem Menschen das Schicksal bestimmt ist durch seine vorhergehenden Erdenleben und durch die Art und Weise, wie er dadurch bestimmt ist, die Kräfte schafft, nach denen die göttlichen Welten an ihn herankommen können. Wir müssen lernen, umgekehrt zu denken in bezug auf das Verhältnis des Menschen zu den göttlich-geistigen Welten, wir müssen lernen, im Menschen die Quelle zu suchen, aus der heraus sich die Kräfte entwickeln, durch welche die einen oder die anderen göttlichen Wesen an einen herankommen können. An diesem wichtigen Zeitpunkt der Erdenentwickelung sind wir einmal angelangt. Und was äußerlich geschieht, das muß heute verstanden werden als ein Ausdruck für innerliches Geschehen, das nur verstanden werden kann vom Gesichtspunkt geisteswissenschaftlicher Einsicht.“ Das Zitat Rudolf Steiners stammt aus dem Zyklus „Die Sendung Michaels“ GA 194, aus dem Vortrag vom 14. Dezember 1919. Zum Verständnis: In sein Karma muß sich niemand fatalistisch ergeben, was wir aus den vergangenen Leben nicht mitgebracht haben, können wir uns in diesem erwerben. Karma ist das was wir gestalten können und müssen.

Die Verantwortung ist von den Göttern auf die Menschen übergegangen und wenn uns etwas fehlt, so müssen wir auf uns selbst schauen und feststellen wo es uns mangelt, was wir versäumt haben und was wir verändern können. Rudolf Steiner spricht dann über die Millionen Opfer des Ersten Weltkrieges, um dann auszuführen: „Aber das wird man nach und nach erkennen müssen als die Mündungen, und die Quelle wird man zu suchen haben bei dem, was in den menschlichen Seelen vorgeht bei jenem Sich-Entgegenstemmen gegen die hereinbrechen-wollende geistige Welt, die das Menschenwesen in die Zukunft tragen will. Und alle Dinge müssen heute von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet, das heißt vertieft werden, richtig vertieft werden.“ Ebenda, Seite 212, in der Ausgabe von 1983.

Wenn wir uns über die Zerstörungen der Gegenwart empören, sollten wir bedenken, wo die Ursachen der Zerstörung des Unterganges liegen. „Denn  diese Herrschaft des Materialismus trägt zu gleicher Zeit den Keim des Zerstörens in sich. Das Zerstören, das begonnen hat, wird nicht aufhören. Und die äußere Herrschaft (er spricht von der anglo-amerikanischen Weltherrschaft) heute antreten bedeutet: die Kräfte der Zerstörung, die Kräfte der Menschenkrankheit zu übernehmen, in ihnen zu leben. Denn dasjenige, was die Menschheit in die Zukunft hineintragen wird, das wird aus dem neuen Keim des Geistes hervorgehen. Der wird gepflegt werden müssen. Und dafür gibt es die Verantwortlichkeit gerade jener Seite, der die Weltherrschaft zufällt.“ Seite 214.

Wir wollen die Seite der Verantwortlichkeit, die den anglo-amerikanischen Völker zufiel, da sie die mitteleuropäischen Völker in den Staub traten weglassen, wir haben schon mehrmals davon gesprochen, so sehen wir, wie die Zerstörung ihren Ursprung im Materialismus hat und die Zukunft aus dem Geiste erbaut wird.

Wir hätten allen Grund unsere Lethargie zu überwinden, denn es steht für uns sehr viel auf dem Spiel. „Der Mensch ist heute genötigt, Ernst zu machen mit seinen Beziehungen zur geistigen Welt, sich so zu fühlen, daß er wirklich nicht nur drinnen steht in der physischen Welt, sondern auch in einer geistigen Welt. Und ehe wir nicht mit dieser Gesinnung Ernst machen, werden noch Ströme von Blut und Blut über das arme Europa hinfließen müssen. Denn die Menschen hassen die Wahrheit, und der Haß wandelt sich sehr häufig um in Furcht; daher haben die Menschen der Gegenwart Furcht vor der Wahrheit.“ Diese Worte stammen aus dem Band „Geisteswissenschaftliche Behandlung sozialer und pädagogischer Fragen“ GA 192, Seite 214 in der Ausgabe von 1991. Und diese Angst vor der Wahrheit ist so groß, daß man sich lieber von der Lüge totimpfen läßt!

Heute, da in Europa vom Angriffspakt Nato mit Krieg gezündelt wird, bekommen diese Worte neue Aktualität. Die Nato provoziert Rußland in der Ukraine und in Norwegen, wo inzwischen US-Langstreckenbomber stationiert sind. Der Tiefe Staat braucht einen Krieg in Europa. Gott sei Dank sind die Russen dem Westen militärisch überlegen, da man in Rußland mit dem Rüstungsgeld Waffen entwickelt hat, während man im Westen vor allem Profit machen wollte und deswegen die Gelder vor allem der persönlichen Bereicherung dienten. Putin hat den Westen vor kurzem gewarnt, Rußland würde jedem, der es beißen wollte, die Zähne einschlagen. Aber es geht auch nicht um einen Sieg, sondern um die größtmögliche Zerstörung in Europa anzurichten, so wie man das auch im Ersten und Zweiten Weltkrieg getan hat, nur wäre das Ausmaß an Zerstörung heute bedeutend größer.

Wir hätten also schon aus dem Selbsterhaltungstrieb heraus genügend Grund der Anthroposophie mit dem nötigen Ernst zu begegnen. „Aber es muß in uns das Feuer sein für dasjenige, was als Neues der Menschheitsevolution eingepflanzt werden soll.“ Wieder GA 194, Seite 194.

Aber wenn ich ganz ehrlich bin: Mir sind bisher nur verschwindend wenige Menschen begegnet, die den notwendigen Ernst für die Geisteswissenschaft aufzubringen in der Lage sind, immer steht das Persönliche dazwischen und noch schlechter sieht es aus, wenn wir von dem Feuer, von dem Enthusiasmus für die Geisteswissenschaft sprechen, von dem sprechen von dem man sagen kann, es lodert das notwendige Feuer in ihm.

Überzeugen Sie mich vom Gegenteil!

Rüdiger Keuler, Pfingsten 2021