Das Seminar stellt sich vor

Wenn man mit Kindern therapeutisch arbeitet, so muss man immer wieder die Erfahrung machen, dass es nicht nur die Kinder sind, die immer mehr Hilfe für ihre Entwicklung brauchen. Auch Eltern, Lehrer, Erzieher, ja viele Menschen suchen heute Orientierung und neue Impulse. Wir müssen sogar davon sprechen, dass die ganze Kultur eine Therapie dringend notwendig hat. Neue Impulse können nur vom Geistigen ausgehen, sie sind im Bewusstsein der einzelnen Individualität zu finden. Grundlegend neue Gedanken brauchen wir heute, damit wir unsere individuellen Probleme in Beruf, in der Erziehung, in der Ehe und in der Lebensgestaltung besser meistern können. Aber auch die Gesellschaft braucht neue Anregungen, um aus dem nun schon viele Jahrzehnte dauernden Entwicklungsstau, der sich in großen Krisen äußert, zu neuen Möglichkeiten zu finden. Letztendlich erleben wir doch nur ein Wiederkäuen uralter Denkschemen. Im Unterbewusstsein der Menschen lebt überall der Drang hin zu spirituellen Gedanken. Dieser Drang führt mitunter zu grotesken Auswüchsen und latenten Beunruhigungen im Seelenleben der Menschen. Er äußert sich paradoxerweise oft auch gerade in einer Ablehnung wirklich geistiger Denkweisen. Ganz besonders spielen die hier erwähnten Probleme eine Rolle in der Erziehung. Die erzieherischen Instinkte der Menschen sind heute weitgehend verloren gegangen und müssen auf eine neue, zeitgemäße Art wieder erarbeitet werden. Diese Art muss der Individualität des Kindes, das ein geistiges Wesen ist, Rechnung tragen. Aus welchen Gliedern besteht die Wesenheit des Menschen, des Kindes? Welche Gesetzmäßigkeiten gelten bei seiner Entwicklung und durch welche Erziehungshaltungen und –maßnahmen werden wir dieser gerecht. Das sind brennende Fragen der heutigen Zeit. In der Anthroposophie finden wir Antworten darauf. Sie kann uns Aufschluss geben über die Wesenheit des Menschen und seiner Psyche, auch dort, wo die sinnliche Anschauung, die die ausschließliche Grundlage der Naturwissenschaft und des Materialismus ist, versagen. Mit einer Erziehung, die aus einer materialistischen Naturwissenschaft hervorgeht, werden wir dem Kinde niemals gerecht, denn sie berücksichtigt nicht die übersinnlichen Anteile der kindlichen Wesenheit. Durch die Anthroposophie können wir uns ein Bewusstsein schaffen für die Notwendigkeiten einer neuen, der Zeit angemessenen Erziehung, die dem Kind eine gesunde Entwicklung ermöglicht. Die immer größer werdenden Probleme in der Erziehung zeigen uns, wie dringlich dies ist.

Jedoch nicht nur auf die brennenden Fragen in der Erziehung vermag uns die Anthroposophie Aufschluss zu geben, sondern sie zeigt uns in einem umfassenden Sinne die Beziehung des Menschen zu Erde und Kosmos in geistiger Betrachtung. Sie gibt dem Menschen Vertrauen und Sicherheit in sein Leben und sein Schicksal. Letztlich ist eine leibliche und seelische Gesundheit des Menschen ohne wahrhafte, spirituelle Gedanken nicht denkbar. Spirituelle Gedanken, die sich bis ins konkrete Praktische verdichten, können bis in die physische Leiblichkeit des Menschen hinein gesundend wirken. Somit ist der Strebende im Stande, sich selbst bis in seine Physis hinein zu verändern.

Aus diesen Gedanken heraus wurde das Pelagius Seminar gegründet. Es soll Menschen die Möglichkeit bieten, im gemeinsamen Arbeiten und Streben mit Anderen anthroposophische Gedanken und die Entwicklungsmöglichkeiten, die sich daraus ergeben, kennen zu lernen.

Pelagius war ein irischer Mönch, der von der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts (genaues Geburtsdatum unbekannt) bis zum Jahre 418 lebte und der es sich zur Aufgabe machte, aus einem spirituellen Christentum heraus in Europa zu wirken. Nur auf sich selbst gestellt und aus der Kraft seines eigenen Ichs war er tätig. Dabei musste er in einen Gegensatz zur Kirche in Rom treten, da diese bereits institutionalisiert war und in ihr die einzelne Individualität nicht mehr zählte. Der Glaube war an die Stelle der Erkenntnis getreten. Wahrscheinlich bezahlte Pelagius seinen Einsatz mit dem Leben. Trotzdem ist er ein modernes Vorbild, da es heute mehr denn je darauf ankommt, aus dem individuellen Ich zur Erkenntnis zu streben und tätig zu werden. Die Anthroposophie wendet sich an die wachbewusste Ichheit des Individuums, damit Geistiges im Irdischen wirksam wird.


Rüdiger Keuler